All Photos by Roman Kuhn
Kürzlich als ich auf den Zug wartete, sah ich eine alte, sehr dünne, verwahrloste Frau. Sie hing schlaff auf einem Gepäcktrolly und schlief. Ich habe natürlich schon viele Bettler gesehen, aber ihr spezieller Anblick berührte mich. Viele Menschen standen um sie herum und ich konnte sehen, wie sie versuchten die alte Frau nicht zu sehen. Peinlich berührt starrten sie weg.
Das war auch mein erster Impuls. Was hatte ich mit dieser Frau zu schaffen?Menschen wie sie, die abgestürzt waren, gab es eben. Ich konnte nichts für Ihr Unglück, also warum sollte ich mich ausgerechnet für sie interessieren, mich womöglich verpflichtet fühlen ihr zu helfen? Konnte ich überhaupt helfen und wenn ich ihr half, warum nicht auch anderen? Wo fing meine Hilfe an, wo hörte sie auf? Und wie konnte ICH überhaupt helfen?
Klar, jeder von uns hat wohl schon mal einem Bettler 10 Cent in die Mütze geworfen. Aber war das Hilfe? Und musste ich dann nicht konsequent jedem etwas in die Mütze schmeißen? Aber dann regten sich Zweifel in mir. Warum ging sie mich denn nichts an?
Was wusste ich schon von dem Lebenspaket, das sie mit sich herum trug und das sie in diese Situation gebracht hatte? Und, schwer vorstellbar, aber konnte nicht letztlich jeder von uns durch einen Schicksalsschlag in eine ähnliche Situation kommen?
Wir fühlen uns vermeintlich sicher. Im Leben scheitern, das tun immer nur die Anderen. Aber das stimmt nicht! Wir vergessen das nur allzu gerne. Das macht es leichter uns zu distanzieren.
All’ diese Gedanken gingen mir auf dem Bahnhof durch den Kopf…der Zug hatte Verspätung ;-). Kurz davor hatte ich mir an einem Marktstand ein Kilo knallroter, riesiger Kirschen, die ersten dieses Jahr, gekauft. Ich sah die Tüte an, prall und schwer. Mir lief jetzt schon der Saft im Mund zusammen. Ich sah die Frau an. Was für ein Fest musste es für sie sein, wenn sie aufwachen und diese Tüte Kirschen finden würde? Um sie nicht aufzuwecken, ging ich ganz leise hin und legte ihr die Tüte in den Schoß. Als ich in den Zug einstieg und einen letzten Blick auf die alte Frau warf, konnte ich noch sehen, wie sie erstaunt die Tüte öffnete und sich mit einem Lächeln die erste Kirsche in den Mund schob.
Ich stellte mir vor, wie der süße Saft der Kirsche in ihrem Mund explodierte und hatte für einen Moment selber das Gefühl zu explodieren – vor Glück.
Nach diesem Erlebnis nahm ich mir vor, weniger weg zu schauen, hin zu schauen und den Mut haben, Mitgefühl zu zeigen und vor allem auch zu handeln. Spontan zu handeln, auch wenn ich durchaus inkonsequent agierte und vielen anderen nicht helfen wollte oder konnte. Einem Menschen Gutes zu tun, ist besser, als Keinem. Es gelingt mir nicht immer, aber immer öft
Comentários